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Er kam über Nacht ins stille Tal Auf leisen Sohlen ist er ins Tal gekommen. Kaum spürbar, kaum hörbar über seine bisherigen Reviersgrenzen hinaus gelaufen, um nach neuem Jagdgrund Ausschau zu halten. Das Tal war still, die Menschen im Dorf, die Tiere noch nicht auf der Alp und der Schnee trotzte dem jungen Frühling. Seit Tagen bin ich alleine in Schlappin. Es fahren keine Skifahrer mehr über die Hänge. Tourenläufer haben aufgehört die Bergspitzen zu erklimmen und die Touristen sind nach Hause gefahren. Das Treiben hat sich zur Ruhe gewandelt und über das Tal hat sich ein Schleier der Stille gelegt. Am Morgen hört man das Zwitschern einer Blaumeise und das Rauschen des Baches. Der Wind säuselt über den nassen, aufgeweichten Boden und es herrscht Frieden. Jedes Jahr im Frühling bin ich der einzige Mensch hier oben, wo Füchse und Hasen sich gute Nacht sagen. Bis in diesem Frühjahr der Wolf meine Wege kreuzte. Eines Abends habe ich ihn am kleinen Fluss gesehen. Er hatte etwas in seiner Schnauze, einen Teil eines Tieres vielleicht. Ich blickte über die Aue und fragte mich: Ist es ein Hund, der vom Dorf hinauf in die Berge gekommen ist? Die Brille auf meiner Nase verschärfte den Blick und der Umriss seiner Grösse verriet mir die wahre Identität dieses Vierbeiners ein Wolf. Ein Wolf in der Schweiz, oberhalb vom Winterort Klosters. In der Dämmerung des Abends habe ich ihn mit einem Stück Fleisch in seinen Fängen gesehen. Seine Gestalt von Anmut und Vorsicht, liessen einen Zauber über das Tal gleiten. Noch nie da gewesenes hat sich in der Atmosphäre Raum geschaffen. Es gab fortan einen Wächter in Schlappin. Einen Führer, einen Jäger und einen Einzelgänger. Einen Wolf. In den nächsten Morgenstunden ging ich gespannt vor die Tür, um mich aufzumachen, dem Wolf auf die Spur zu kommen. Dorthin wo ich ihn gestern Abend gesehen hatte. Jedoch war es nicht leicht einen Fuss vor den anderen zu setzen. Ich ertappte mich dabei über die Berghänge zu schauen und jeden Busch zu kontrollieren. Meine Augen suchten nach einer sich bewegenden Gestalt. Den Wolf. Stille lag über dem Tal und anders als sonst, verspürte ich seine wachenden Augen auf mir. Anders als sonst, bin nicht nur ich und das Wild im verschlafenen Ort, sondern auch er. Der Wolf, den man ein wildes, unbezähmbares Tier nennt. Mysteriös in seiner Art, da er immer einen Hauch schneller ist, als der Mensch. Wer ihn suchen will um ihm zu begegnen, wartet oft vergeblich. Der Wolf ist ein scheues Wesen, der die Einsamkeit und die leere Weite liebt. Ich wusste nicht woher er gekommen war, aber ich spürte ihn in der Umgebung. Bei jedem Vorwärtsschreiten fühlte ich mich von ihm beobachtet. Er hätte überall sein können. Auf leisen Pfoten hätte er sich anpirschen können, denn keiner ausser ihm kann so unbemerkbar neben Menschen hergehen, ehe sie ihn erblicken. Im Boden, weit entfernt von meinem Haus, erzählte mir das Skelett einer Hirschkuh die Geschichte eines Wolfes, der seine Jagd bis ins Detail geplant, seine Beute zerlegt und es gefressen hatte. Jeder Knochen säuberlich abgekaut, so sauber und ordentlich, wie kaum sonst ein Tier. Schauer und Erstaunen liefen mir über meinen Rücken. Der Anblick dieses Kadavers und die Vorstellung eines hungrigen Wolfes, liessen mich zum Haus zurück eilen... |
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